Weinnasen in Brasilien 2008

XX. Und noch 'ne Geschichte!

28.10.2008

Tach aber auch!

Es ist heiss und extrem trocken in disem mehr als abgeschiedenen Landesteil. Es regnet selten. man kann so sagen, fast nie. Oftmals mehrere Monate, ein ganzes Jahr oder gar lange 2 Jahre trifft kein Regentropfen das "Hinterland", das Land der Hitze und Staubes. Mehr einer Halbwüste gleichend, als einem hier genutzten Land für Viehhirten. Wenn es dann -mal- regnet, dann gerät das Land der >"Jaquncos"< in einen wahren Farbenrausch der aufblühenden Natur.
Und es wird grün und die verdorrten Flächen präsentieren Mensch wie seinem Vieh, den Rindern in halbwilden Herden, die sich selber ihr karges Futter suchen müssen. Mit der Faustregel "1 Rindvieh pro Hektar" kommt der Landanspruch für die Viehhirten an das Land nicht aus. Meist dorniges, gestrüppartiges Gehölz ist hier vorherrschender Bewuchs in der Savannenlandschaft, in der unter der sengenden, alles niederhaltenden Sonne auch sonst kaum etwas wachsen könnten.
Mager, klein und knochig streift das halbwilde Vieh in kleinen Herden oder "Zusammenrottungen" scheu und verstreut durchs weite "Weideland". Die hier angestammten Menschen interessiert nichts, was die Große Welt so "in Atem" hält. Tief religiös leben sie höchst einfach, fast primitiv zu nennen in kleinen Lehmhäusern, die mehr an Hütten erinnern. Ein paar streunende Hunden in erbarmungswürdigem Zustand, keine befestigte Straße führt ins Land oder in die Weiler, Dörfer und kleinen Städtchen.
Mit 562.000 Quadratkilometern ist dieses Land von der Größe Frankreichs. Es hat aber heute nur 13 Mio. an Einwohnern, die zu mehr als 60% in den Regionen des Litoral mit seinen 8 Städten und Städtchen längs der Atlantikzone von Landwirtschaft und dem nun sich entwickelnden Abbau von bedeutenden Rohstoffen (Gold, Öl, Silber, Mangan etc.) und beginnender Petro-/Chemie, nebst Schwerindustrie ihr geringes Auskommen für die überwiegend negroide Bevölkerung -Mulatten- sucht.

Das Land gilt u.a. als Brasiliens "Armenhaus". Dann müsste das verdorrte Savannen-Land aber einen anderen Namen haben. So arm sind hier die oft hungerleidenden, ausgezehrten und an Mangelerscheinungen aller Art(en) leidenden Menschen - insbesondere die Kinder. Ich würde es das Land im Staub, das "brasilianische Leichentuch" nennen. So dicht überzieht puderartig der helle Sandstaub die sonnengegerbten Gesichter der sehr mißtrauisch bis "abweisend" blickenden Menschen.
Den Baianos in den wenigen Städten, den meisten der stolzen Brailianer gelten diese stämmig-kleinwüchsigen Menschen in ihre "Gottergebenheit" als "hinterwäldlerische Halbwilde", mit denen der lautstarke Frohsinn dieses Teil der Brasilianer nun aber auch gar nichts gemeinsam hat. Die Menschen sind eher still und meist sehr zurückgezogen lebend. Sie treten eher schweigsam auf. Nur zu den wenigen Festtagen, in ihren Kirchen und bei feierlichen Prozessionen hört man sie "lauter": beten und singen!

Dieser urwüchsige Menschenschlag kann in den küstennahen Plantagengebieten, den Städten und sei es noch so um vieles für sie leichter, einfach nicht leben. Der Sertáo bleibt ihre Heimat. Und um diese kämpfen sie - notfalls mit Waffen gegen die Staatsgewalt. Ihre sehr einfache -ärmliche- Art zu (über-)leben lassen sie sich nicht nehmen. Dieses Land brachte auch solche mystischen Gestalten ala "Schinderhannes" (in der napoleanischen Zeit im Hunsrück) oder der Figur des "Robin Hood" (England), den >Lampiao< und seine Bande, den Congaceiros, hervor.
Aber eine historisch sehr unrühmliche Ära und Geschichte des "Dornenbundes" ist durch die unermüdliche, aufzeichnende Arbeit des bras. Journalisten zum bedeutendsten geschichtlichen Ereignis des jungen Brasiliens geworden. Mit seinen Buch- und zahlreichen anderen journalistischen Arbeiten - "OS SERTOES" (=Krieg im Sertao) hat der Reporter Euclides da Cunha den bras. Staat eines brutalen, sog. "Staatsverbrechens" entlarvt. Und die bewusst falschen Behauptungen und "Beweise", die zum Massaker an den Aufständischen der Stadt Canudos führten, im Hinterland von Bahia, ins rechte Licht der bras. Geschichte -dauerhaft- gestellt.
Und er hat mit seinem entlarvenden Buch den Menschen, dem staubigen Land, dem "Leichentuch" des Sertao ein Denkmal gesetzt. Und sich selber auch! Denn gerade dieses, sein Buch, wurde ganz große bras. Literatur und sogar verfilmt und regte andere Künstler an, dem "Leben und Tod" im Sertao sich künstlerisch zuzuwenden.

So wie mir die Geschichte der >CANUDOS-Bewegung< und ihres charismatischen Führeres, der von ungewöhnlicher Gestalt und Aussehen gewesen sein sollte (geb. 1828 in Quixeramobin). Größer als die meisten der "Jaquncos", mit langem, wallendem Haar und Bart, sah er eher wie eine biblische, "moseanische" Erscheinung -stets dunkel(blau) gekleidet- denn wie ein typischer Mensch aus dem Sertao aus.
Seine besondere Liebe zum Land und den Menschen war schon auffällig. Sein possenhafter Humor, seine "apokalyptischen Visionen" sind erst durch den Reporter aus Sao Paulo weitergehend bekannt geworden.
Da Cunha berichtete über den sog. "Wanderprediger" und sein über 20 Jahre langes Wirken in dem Savannenland. Als der >CONSELHEIRO< wurde er -"Der Berater"-, Antonio Vicente Mendes Maciel, bekannt, berühmt und von seinen, ihm blind vertrauenden, vielen Angehörigen seiner Lehre, geliebt. Bis in den Tod hinein, blieb er ihr religiöser Führer und gründete, hoch auf einem Berg im wüstenartigen Sertao, die Stadt >CANUDOS<, die blitzschnell mehr als 20.000 (!!!) Einwohner in den einfachen (Lehm-)Gebäuden hatte.
Eine sog. Wehrkirche war der kulturell-religiöse Mittelpunkt der Stadt und Gesellschaft der fleißigen Gleichen. Es gab keine Reichen, keine sozialen Ränge oder rassische Unterschiede. Durch gemeinsame Arbeit und kleine Manufakturen kamen bescheidene wirtschaftliche Strukturen und sehr bescheidener Wohlstand in der "Gemeinde der Gleichen" (1893) auf.
Der "Conselheiro" -als Führer und Ratgeber dieser "neuen" sozialen Gemeinschaft rief- in dem jungen Staat zur "Königstreue" auf. Schuf eine religiöse Gemeinschaft, geformt aus Lehren des Christentums und sog. "Volksglauben". Diese Bewegung wurde vom bras. Staat lange ignoriert. Denn das unwirtliche Hinterland des Landes Bahia war kaum ein Interesse der Regierenden und des Militärs wert.
Erst in den Jahren 1895 und 1896 wurden sog. Strafexpeditionen entsandt die mit dem Spuk der "fanatischen Sekte und Monarchisten" rigoros "aufräumen" sollte. Diese wurden aber von den "Sektierern" zurückgeschlagen - sie verteidigten unerwartet erfolgreich ihre Besitzung(en). Von März bis Okt. 1897 wurden stärkere Kontingente des Militärs in Marsch gesetzt; die letztere der Militärmissionen mit überlegener Waffentechnik, und der schweren Artillerie gelang es, die sog. "Aufständischen" schwer zu schlagen und Canudos einzunehmen. Dazu waren +6.000 Soldaten notwendig. Es wurden über 320.000 Menschen bei der rücksichtslosen Erstürmung getötet. Den sich dann ergebenden Kämpfern - d.h. ALLEN der Männer wurden als Gefangene die Kehlen durchgeschnitten. Nur einige Alte, Frauen und Kinder kamen lebend in militärische Gefangenschaft.
Den "Conselheiro" nahm man aber nicht gefangen. So groß war die Wut der Kriegsherren, daß sie den kurz vorher Verstorbenen -22. Sept. 1897-, d.h. seinen Leichnam ausgruben und enthaupteten und die zahlreichen Fotos von dieser letzten Gräueltat verbreiten ließen. Erst der Reporter da Cunha stellte dieses unglaubliche Massaker -ein Drama- der entsetzten Öffentlichkeit klarstellend dar, als was es wirklich war: ein staatlich gewolltes, mörderisches Verbrechen!
Die Stadt wurde völlig zerstört, CANUDOS gabs so also nicht mehr. Nur in der Geschichte Brasiliens lebt dieser Mythos und den seines geliebten "Beraters", fast schon als Sage, weiter. So auch in der Literatur und Kunst des Landes, die die Not und das Elend der Menschen im Sertao, die Schlacht von/um Canudos so unvergesslich macht. Über den Menschen, den "Conselheiro" weiß ich -noch- wenig zu berichten. Nur diese paar Zeilen, aus alten Geschichten, und meine eigenen Gedanken dazu... (!).

Brasiliens jüngste Geschichte ist voll von Revolutionen, charismatischen (Revolutions-)Führern und deren zumeist ergebnislosen Versuchen, das Riesenland in eine soziale Ausgewogenheit und Gerechtigkeit zu leiten!

Brasilien verknüpft sich in meinen Gedanken mit einem schier schrankenlosen Ausbeutungssystem seit der Moderne - Ende der Monarchie 1889, durch den Sturz des 2.ten und letzten Kaisers, Dom Pedro II. und dem angeblichen Ende der Sklaverei 1888 (Lex Aurelia), dem Elend und Nöten der meist europäischen Einwanderern -den Deutschen- und der Vernichtung eines ungeheuren Reichtums zugunsten weniger Habgieriger, zu denen auch europ. und deutsche Unternehmungen/Investoren und Aktionäre gehören. Und ein exceptioneller Reichtum aus dieser fortwährenden Ressourcen-Vernichtung und Ausbeutung in der die meisten Menschen notleidende Arme bleiben!

Auch kam bei mir die Frage auf, warum Brasilien, daß doch keine Feinde hat, ein solch starkes Militär sich -mit modernsten Waffen- erlaubt und weiter ausbaut. 2 Kampfjets bras. Bauart düsten neulich, hier in der weitgehend so menschenleeren Pampa, den Tiefflugangriff donnernd und knallend übend, über Morro Redondo weg. Nicht weit weg, in Pelotas, steht ein starkes Regiment an schwerer Infanterie breit. Und an allen Busterminals, den Häfen und Airports sieht man die Bevölkerung observierende Militärpolizei - oft auch an wichtigen Verkehrsstraßen und -Knotenpunkten sind diese "Militär-Posten" für den aufmerksamen Reisenden -bei strengstem Foto-Verbot- sichtbar. Dazu noch Stadt-/Gemeinde, Landes- und Staatspolizei. Und die "Spezial"-Polizei des Regierungsdistriktes um Brasilia sowie Geheim- und Kriminalpoolizei und stark bewaffnete "Sicherheitskräfte" der Unternehmen sowie die wachsende Zahl an wichtigtuerischen (bewaffneten) Bodyguards.
Vor wem oder was hat dies Land bloß solche Angst, wenn sich kein "Äußerer Feind" -mehr- zeigt. Diese Frage stellt sich doch, sieht man solches Machtgehabe und Waffenfülle? Ists die Angst vor der sozialen Ungerechtigkeite, den Armen, die darunter -besonders bei der herrschenden Korruption- leiden. Ists der Gedanke an einen neuen "Conselheiro", an ein neues Debakel wie >Canudos<, der Legende des "Lampiao" u.v.a. Geschichten um Revolution und die neuen, Sozial-Bewegungen, die diese "Aufregungen" zu solcher Militär- und Polizei-Präsenz rechtfertigen?
Noch hat kein Brasilaner mit mir "offen und ehrlich" über dieses Thema sprechen wollen, was den "dollen Ollen" doch sehr... nachdenklich macht. Und etwas vorsichtiger mit meinen Ideen und "freizügigen" Erzählungen sowie sozialen Interessen.

Größer als hier die meisten der liebenswerten Menschen im Gaucho-Land bin ich. Langes wallendes Haar und 'nen langen, grauen Bart dazu hab' ich, neben meiner weiteren "seltsamen" Erscheinung und oft schwarzer Kleidung dazu. Als Weihnachtsmann aus Deutschland, dem "Pappa Noel" bin ich den Kindern hier in MoRe schon bestens bekannt, aber... noch fühl' ich mich in diesem Land gelitten und relativ sicher.
Auch durch die Polizei-Präsenz und deren Einsatz, uns von der 4 km entfernten Busstation im "Bergdorf", runter zum Don Oswaldo, zum Passo do Valdez, freundlich und hilfsbereit mit dem Wagen der Guardia zu fahren!
Also bitte - warum solls dafür nicht die Polizei geben?!

CpS


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