Weinnase: Geschichten aus Tunesien 2007-2008

27. Brief aus Afrika: Medina, mon Amour!

- Ein orientalisch-afrikanischer Stadtbummel -

04.02.2008

Medina heisst, ganz einfach... STADT! In unserer heutigen Neu-Zeit "versteckt" sich hinter diesem Begriff/Wort in Tunesien, die sog. >ALTSTADT<; das "Herz", das lebendige Zentrum der meist uralten Städte aus punischer oder römischer Zeit. Von den arabischen Eroberern um -und/oder kpl. neu- überbaut und mit ausgeklügelten Sicherungssystemen und Wehrburgen >KASBAH< oder Wehrklöstern >RIBAT< trutzig versehen.
Immer aber wurde die "Siedlung" mit einer sog. Wehrmauer umgeben, in die gutgesicherte Toranlagen die einzigen Zugänge (BAB) ließen. Sicherheit und Geschäftigkeit ließen diese "Marktflecken" oder Siedlungen zu kapitalen Städte seit der Antike anwachsen. Brunnenanlagen, Moscheen (Kirchen), Schulen und Märkte sowie die SOUKS, die Handwerker- und Händler-Geschäfte und Werkstätten, Läger- den Lebens- und Schaffensraum boten, machten die Medinas seit Urzeiten aus. Bis sie mit der Kolonialzeit und Beginn der "Moderne", ca. Mitte des 19. Jhdrts., immer mehr zu Gunsten der weitläufigen und, meist mit Alleen und Parks ausgestatteten >"Neustadt"< aufgegeben oder zu "Armenquartieren" degradierten/verkamen.

Unaufhaltsam hat dieses Schicksal die meisten der für uns Europäer/"Westler" so fremdartig wie "undurchschaubaren", aber pitoresken "Stadtcenter" getroffen und in Verruf gebracht. Oukalisation wurde dieses negative Phänomen genannt: Verwahrlosung und Verfall der Wohn- und Geschäftshäuser, Paläste und Kirchen (Moscheen) und tradit. Bade-/Sanitäranlagen (Hammam) sowie Brunnensysteme, Cafes und Restaurants.
So geschah es -leider- auch in der einst prosperierenden Stadt >TUNIS< (bekannt: 814 vor Chr., später unter Herrschaft Karthagos), wohl eine der ältesten Städte der Welt. Älter als Karthago, das antike >TYNES<, das sich stetig, seit dem VII Jhdrt., immer weiter entwickelte und enorm vergrößerte (ca. 11.000 Einw.) und prächtig wie mächtiger wurde.
Christen, Juden, Muslime aller Glaubensrichtungen; Berber, Spanier, Italiener, Österreicher und die frz. Kolonialisten und türkischen Ursupatoren war diese Stadt eine geordnete und relativ sichere Heimat, die zum Ende des XVII. Jhdrts. wohl über ca. 110.000 Einwohner "aus aller Welt" hatte. Eine wirkliche kosmopolitische Stadt mit orientalischem Flair und mediterranem Charakter entstand am Golf von Tunis, bis... die sog. "französische Stadt" vor den Toren, an Rande der Medina von Tunis, ca. 1881, begann der "Altstadt" den Rang abzulaufen und immer mehr Menschen "anzulocken". Noch viele Großbürger-Bauten aus dieser Zeit und des anfängl. 20. Jhdrts. prägen das "äußere" Stadtbild von Tunis, die die einstige "Neue Stadt" =Karthago, zur Vorortstadt "degradierte" und beinahe als gesuchtes Neubau-Gebiet "verschluckt" hätte.
Anfang 1970 besann sich aber die tunesische Staats- und Stadtführung ihres geschichtlich einmaligen Erbes und nahm -mit UNESCO (und deutscher Hilfe!)- die riesige Aufgabe auf sich, um als WELTKULTUR-ERBE weiter zu bestehen: Die lebendige Medina und das antike, archäologische Karthago aus punisch-römischer Zeit!

Und wie sich die MEDINA VON TUNIS zu einem touristischen Highlight "gemausert" (seit 1980) hat, ist seit Beginn der noch immer andauerndetn Rekonstruktionen und Sanierungen - zunächst im völlig verfallenen, sog. jüdischen Quartier, in >EL HAFSIA< (seit 1972) zu bewundern und bestaunen. Den dort >oft illegal< hausenden (armen) Menschen wurden Neubau-Wohnungen mit neuesten sanitären Anlagen zugewiesen und TUNIS begann, sich als liebens- wie lebenswerte Stadt, MIT seiner Medina als intaktes "lebendiges" Herz der Millionen-Metropole in Nord-Afrika zu verstehen und wiederzufinden.
Und wie's nicht nur mir scheint, ist diese urbane "Wiederbelegung" gelungen; wohl aber noch nicht alle (geplanten) Maßnahmen und Arbeiten abgeschlossen. Was allerdings auch seinen -morbiden- Charme für mich hat und die Medina ihr "antikes" Gepräge verleiht - wenn man mir diese meinung verzeiht!

Anders als in anderen Metropolen (Paris, London, Lisboa, Barcelona und insbes. -vergleichbar in Afrika- MARRAKESCH in Marocco), haben gierige Investoren und Immobilien-Haie (noch) nicht einen alles verteuernden Run auf die Medina (Häuser und Paläste, etc.) von Tunis ausgelöst. Tunesier, Privat- und Geschäftsleute, Künstler und Handwerker besinnen sich auf ihr heimatliches Kulturerbe und renovieren/sanieren -behutsam- und mit typisch "maghrebnischer Gelassenheit" ihre Medina!
Und was daraus u.a. entstehen kann, ist zu bestaunen und sogar -als Gast- zu bewohnen oder lukullisch, typisch tunesisch und tagesfrisch, zu erleben:

Mein Tipp wäre, nicht gerade "billig", mal in der Medina von Tunis zum Dinner und über Nacht, in märchenhafter Umgebung zu residieren! Aber auch die Jugendherberge (ab 8 TDN/Pers./Nacht) ist, zwar einfacher, sauber, ruhig gelegen ("Maison Jeunesse": Rue Saida Ajoula 25; 567850, mittendrinne!) und kein "verwegenes" Abenteuer. Genau wie ein einfaches, aber leckeres tunes. Essen im Resto "ESSARAYA", Rue Ben Mahmoud 6; am BAB (Tor) MENARA mit spez. Fleisch-Gerichten mit traditionellen ambiente, in verschiedenen Zimmern/Räumen, verleitet zum träumen, wenns zum Abschluß des preiswerten Esens, den obligaten >THÉ DE MENTHE< brühfrisch gibt!

Es gilt allgemein als das BESTE Restaurant in Tunis -wenn nicht gar in Tunesien-, hat immer Sonntag geschlossen (und im ges. Juli!) und ist teurer, als die meisten lizensierten Restaurants. Dafür zieren 3 (!) Gabeln, als Qualitäts-"Siegel", das Restaurant >"DAR EL JELD"< in der -"versteckten"- Rue Dar el Jeld. Unweit des >Place du Gouvernement< gelegen, sind hier auch viele (Regierungsmitglieder) Beamte und Prominente zu sehen.
Und wer nicht "blöde" vor dem prächtigen Anwesen stehenbleiben, anstatt die hervorragenden tunes. Küchenspezialitäten (Hauptgerichte um ca. 20 TDN), sehr gute und große tunes. Weinauswahl und superfrischen ("teuer") Fisch etc. genießen will, der sollte vorher UNBEDINGT RESERVIEREN (lassen)!
Hinter dem gelb-gestrichenen Eingangstor der kl. Gasse (mit Klingel!), unter dem großen Torbogen durch -mit überdachtem "lauschigen" Innenhof nebst Mosaiken-, gelangt -nur- der korrekt gekleidete Gast an seinen Tisch und das "Gedicht einer Nacht" beginnt mit einem Schluck eisgekühltem (!) "MUSCAT DE KELIBIA", einem vortreffl. Weißwein aus der gleichnamigen Region vom CAP BON. Für das hier gebotene (tunes.) Spezialitäten- und Weinangebot sind mir die Preise nicht "überteuert", nur nicht... "billig" vorgekommen.

In sehr angenehmer Stimmung bleibt man -mit Begleitung- in der Medina und ist, nach ein paar stolpernden Schritten, dann an der Türe eines Palastes aus "1.000 und einer Nacht" in der Medina von Tunis: "DAR EL MEDINA" heißt das Hôtel mit 4 so verdienten Sternen, daß erst 2005 eröffnet wurde (renov.) und für ca. 185 TDN im DZ, eine -ruhige(?)- unvergleichliche Nacht in nobler, orientalischer Pracht anbietet! Stilvolles, teils antikes Ambiente und "tôute Comfort moderne"!
Wer will -und noch mag-: Der "Schlummertrunk" auf der Dachterrasse des DAR (Stadt"Palast") ist einfach überwältigend und unvergesslich: die Medina, Dächer, Kuppeln, Minarette und 'ne Nette, als Reisebegleiterin, mach "einen" hin. Oder wars der (zuviel) Gin in dem Cocktail?
Und mit Geduld kommt man hier auch zum Ziel und überfordert das sehr freundliche Personal so nicht! Ein herrliches Frühstück, mit starkem (!) Kaffee und pressfrischem, leckerem Orangensaft, 'ner Crepe und 2 softige Eier -zu knusperfrischem Brot-, dies macht dann schlaftrunkene Wangen wiede rot. Und wers mag, und noch kann, der macht sich an die herrlichen Kuchengedichten ran. Dies alles unweit der berühmten "Olivenbaum"-Moschee, der EZ-ZITOUNA, in der Medina von Tunis: Ein "Schlaraffen-Paradies" (!) und überdies wohl nicht mehr lange noch ein "Genießertipp". Aber... erstmal muss "Krethi und Plethi" sich dort im Medina-Gassen- und Souks-Gewirr "durchschlagen", um zu diesen "maghrebinischen Träumen" und versteckten, noch (Massen-)touristenfreien Räumen hinfinden!
Dann, nach dem v.g. Frühstück gehts in/an die "Schatztruhe(n)" der Medina! Z. Bsp. an/im "ED-DAR", im Souk ETTROUK: Antiquitäten, Schmuck und -echte- (Berber)Teppiche, Silber, Bilder... und was man -besser Frau- sich sehr genau ansehen und aussuchen sollte. Denn "Billiger" gibts hier auch nicht!
Und wer noch mehr Medina will, der "wandere" wie ich, an einigen Tagen mal durch die Stadt in der Stadt Tuni! Es lohnt sich!! Garantiert!!!

Nur... ein oder gar nur ein halber Tag genügt(e) -mir- nicht für den "Altstadt-Bummel" durch die größte Medina des Landes, die Besichtigungen der (Stadt-)Paläste und Museen, Moscheen sowie Tourbets, Mederas (Koran-Schulen!) und Mausoleen und... wirklich unzähligen Läden, Buden, Geschäften, Kramecken und "antiken" Werkstätten von bei uns "ausgestorbenen", Hand- und Kunsthandwerkern: Ausgefallenes, wie die traditionellen und modernen Chechias und Filztaschen (meist weinrote, runde Filzkappen!), bekommt man u.a. im "Grand Souk", bei Mohammed MESSAOUDI. Das üppige, nord-afrikanische Dekor ist oft an Häusern, als Türrahmen oder in den Geschäften der Medina zu sehen. Genauso wie der Duft des Orients für Nasen betörend überall ist!
Wer in der Medina feiern möchte, der finde z.Zt. des alljährlichen >MEDINA-Festival< (Ramadan-Zeit!) mal dort in Tunis hin, wo noch über 100.000 Menschen "gedrängt", aber traditionell sowie gerne wohnen und, wie seit "Urzeiten", leben und in den Souks wirken und gekonnt arbeiten. Im nördl. Teil der Medina, im DAR LASRAM, in der sog. "Förderverein zum Erhalt der Medina" sowie der CLUB CULTUREL TAHAR HADDAD, eine Art privater Kulturzentrum mit Galerie und Café, das Haus des bekannten Malers TAHAR HADDAD, in der Rue Tribunal, zu finden und sehens- /besuchenswert ist!
Das >Office National du Tourisme<, in der "Av. Mohammed V." hat bestimmt noch mehr Infos und lohnenswerte Hinweise und gibt gerne (deutsch/engl.) Auskunft in Tunis. Auch das staatl. Institut für Kulturerbe im DAR HUSSEIN (XIV. Jhdrt.) lädt zum Besuch ein!

Tja, dies wars zu... "Medina, mon amour"! Fehlt nur noch der Besuch in der gleichnamingen GALERIE und ATELIER des "nativen" Malers, mit nordafrikanischen Impressionen, in der Rue Dar El Jeld 12, dem freundlichen Jamel Abden-Nasser!
Ich könnte noch stunden- ach was: tagelang durch die Medina stromern und "wandeln" und bin sicher, noch immer nicht alles gesehen und erlebt zu haben. Deswegen fahre ich auch wieder mal hin!

CpS

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