Weinnase: Geschichten aus Tunesien 2007-2008

"SALAMMBÓ" - oder als der Okzident den Orient "neu" entdeckte!

25.02.2008

Als M. Gustave Flaubert erstmal seinen Roman "SALAMMBÓ" im Jahre 1862 veröffentlichte, erwartete ER nie den Erfolg seines Romanes über das "alte" Tunesien, Punien im Jahre des Hamilkar von Karthago. Bevor römische Legionäre (=Söldner) das fast weltumspannende Netz der Punier vernichteten und die erlebnisreiche Kultur unterging. Im Roman Flauberts "lebte" Karthago seinen weltumspannenden "Global Player-Traum" noch. Rom und Griechenland eroberten/verteidigten uralte Handelsrouten und schützten ihre Pfründe mit heftigen Kriegen; bis zur totalen Vernichtung.

Flauberts teils wissenschaftlich fundierter, teils mythologisch "verbrämter" Roman SALAMMBÓ führt uns in die Welt der Karthager, als ihr Reich noch die wirtschaftliche wie kulturelle Hochblüte einer Zivilisation im Maghreb, in Nordafrika war.
Als ein kleiner ALETES, ein (griech.) "Umherirrender" habe ich die Silberbergwerke in Spanien und die Handelsniederlassungen der Nordmänner ("Wikinger") an der Schlei in der Ostsee -HATTABU- "entdeckt" und Großbritanniens ZINN-Bergwerke in "Cornwallises" unter Vertrag genommen!
Ohne Zinn konnte man mit dem Kupfer aus Palästina keine Bronze verhütten, wie z.Bsp. in Anatolien!


Bildungsbürgertum, Großbürgertum und die ersten Bildungsreisen veränderten die Sichtweise(n) der Welt des 19. Jahrhunderts!
Ägypten, Griechenland und auch Asien wurden bereist und von Strömen von Gelehrten, Forschern und (Raub-)Ausgräbern und Abenteuer-Suchenden überschwemmt. Ein Jeder wollte die geheimnisvollen (Kultur-)Schätze finden, bergen und i.d.R. an die Museen und Ausstellungsmacher für viel Geld verkaufen. Beute mit den Kunstwerken der Antike, Fremde und Andersartigkeit machen.
Mancher engl., frz. oder italienische Privat-Gelehrter war nichts anderes als ein mieser Kunsträuber, Grabschänder, ein Plünderer. Ein Mensch, der das Weltkulturerbe für schnöden Mammon verscherbelte oder seiner eigenen Sammlung von "er-gierten" Artefakten etc. zuzuführen. Wissenschaftlich, sinnvoll oder mit nötigem Respekt vor den andersartigen Kulturen geschah und war dies i.d.R. nie.

Der SCHLIEMANN-Effekt hielt diese Leute, genau wie die Gier nach (Gold-/Kunst)Beute, auf Trab. Mit ihrer damaligen "Kunsträuberwut" taten sie, mit der heutigen, wissenschaftlichen Sissyphus-Arbeit der universitären "Ausgräber", Forscher und Professoren seriöser Universitäten und Institute nichts vergleichbares an Arbeit. Sie schleppten nur fast jeden künstlerisch bearbeiteten Stein, Marmor oder (Edel-)Metallfunde ab und zerstörten wertvollste -wissenschaftliche- Fundorte durch ihre Raubzüge.
Selbst vor der Zerstörung von Bau- und Kunstwerken, um Teile von Säulen, Friese oder Kapitäle, Plastiken etc. zu erbeuten und leichter zu verstecken, zu transportieren, taten sie sich nicht genieren!

Die Zeit der früh-wissenschaftlichen "Altertumsforschung" und Ausgräbertum (=Archäologie) ist nun Gott-sei-Dank vorbei. Und die heutigen, best-ausgebildeten Wissenschaftler treibts oft die Tränen der Wut und Trauer in die müden Forscheraugen, wenn feststeht, daß "Kollegen" aus den Vorzeiten die Grabungsorte, Fundstellen oder Gebäudereste undwiderruflich durch ihre Dummheit und Gier vernichtet haben. So "einfach" kann man nämlich nicht sich durch die Jahrhunderte und Jahrtausende unserer Menschheitsgeschichte graben und wühlen. Zwar statt mit Bulldozern mit Muskelkraft von Heerscharen einheimischer Eimerschlepper und Schaufelschwinger wurden Berge abgetragen, Täler durchwühlt und altes Siedlungs-/Kulturgebiet zerstört.
Denn >so< konnten keine wertvollen wissenschaftlichen Erkenntnisse, bestimmbare Daten und Hinweise auf die untergegangene Kultur gesichert und gefunden werden. Diese Herden von Kunst-/Kultur-Zerstörer sind die Grabträger vieler, vieler Erkenntnisse und Forschungsgrundlagen. Sie fehlen uns, unserer heutigen Wissenschaft bei ihren Bestimmungs- und Erklärungs-Arbeiten in jahrelanger, oft mehrere Jahrzehnte dauernde Forschung/Grabung "vor Ort"!

Und noch etwas stört die Suche, die wissenschaftlich-fundierte "Zeitreise" in längst vergangene Kulturen und Zivilisationen. Dies sind die oft von Nachfolge-Kulturen -meist die der "Eroberer"- flächendeckenden Neu-Bebauungen unter "Resteverwertung" (Baugruben und Material nahm man sich von den "Vorgängern"). Und auch die Natur hat dem Arch.-Wissenschaftler sehr oft einen "bösen" Streich gespielt. Wüsten bedecken einstige fruchtbare Siedlungsgebiete, Flüsse veränderten ihren mäandernden Lauf und auch Meere und Seen haben heute anderen Verlauf. Eine besonders schlimme Katastrophe ist eine weitere Naturgewalt. Vulkane und ihre Lavaströme, Ascheregen (=Bimsschichten!) versiegeln quasi die uralten Kunst- und Kultur- sowie Siedlungsgebiete. Städte von Ruhm und Kultstätten von außergewöhnlichem Rang in der damaligen Welt unserer Urahnen in der grauen Vorzeit, dem Altertum, der Antike.
Und dann noch die "große Vorliebe" der Religionen, just auf/an den Kultstätten der Besiegten/Unterdrückten, der "alten" Religion ihre neuen Altäre aufzurichten. Z.Bsp. taten dies die Römer auf z.Bsp. keltischen Kultorten, die Christen auf römischen Tempelanlagen, der Islam in/auf christlichen Kirchen, die Museen in den alten -aufgelassenen- Kultststätten.
Das völlig zerstörte architektonische Wunderwerk, die Stadt Karthago wurde, kurz nach Christi Geburt, von römischen Legionen, in Frondienst stehenden Sklavenheeren, griechisch-byzantinischen Baumeistern und Künstlern sowie jüdischen Handwerkern, ägyptischen Steinmetzen und libanesischen Schreinern und Holzschnitzern etc. in neuer, wunderbarer Pracht wieder "aufgebaut". D.h. genau auf den ehemals punischen Siedlungs- und Kultur-"Resten" erbaut = überbaut und somit "dauerhaft" die "alte" Kultur ausgelöscht - sie verschwand mit ihren Göttern und Kultplätzen/Tempeln unter, manche aus den Ruinen/Trümmern neubearbeiteten Stein, Säule oder Fries. Baumaterial war knapp, teuer und... es lag "herrenlos" so auf dem Boden der "neuen" Kultur/Kirche.
So habe ich in manchem Palast in Tunesien, sogar in der Großen Moschee von Kairouan, römische Säulen, Kapitäle oder zu Bodenplatten "verarbeitete" Grabplatten gesehen und bestaunt!

Wie groß das -literarische- Meisterwerk von Flaubert ="SALAMMBÓ"= schon in seiner Zeit -Mitte des 19. Jahrhunderts- war, ist den "zeitgenössischen Stimmen" zu diesem Geschichts-Kultur-Roman zu entnehmen.
Nur einige sind hier - auszugsweise- wiedergegeben:


Théophile Gautier: (1862)

Zitat:
Es war mutig, aber auch gefährlich, das Publikum nach einem erfolgreichen Werk so vollständig zu verwirren, wie es M. Gustave Flaubert mit seinem punischen Roman getan hat. Dem Leser, der vielleicht dasselbe möchte, serviert er einen berauschenden Wein aus einer anderen Amphore, und das in "einem schwarzbemalten Kelch aus rotem Ton", einem Kelch in den Hauptfarben antiker Kunst, und er tut dies in einer Epoche, in der der Sinn für die Vergangenheit verloren zu sein scheint und in der der Mensch den Menschen nur erkennt, wenn er nach der letzten Mode gekleidet ist.
Zitatende

Zitat:
Man kann es, der Autor von Salammbó beeist es, aber es ist nicht einfach. Auf die Dauer gesehen hat sich das delenda Carthago des alten Cato erfüllt. Nach mehrmaligem Wiederaufbau und Zerfall ist Karthago verschwunden, hinterlässt an Sichtbarem nur ein paar Ruinen seiner Aquädukte. Seine Sprache ist ausgestorben; geblieben sind uns lediglich ein Monolog und ein paar Worte im Poenulus von Plautus, die aber wahrscheinlich ebenso eine Parodie sind wie jenes Kauderwelsch, mit dem man im Theater fremde Sprachen imitiert.
Zitatende

Zitat:
Diese Gabe, die M. Gustave Flaubert für die Wiederbelebung von Dingen besitzt, erstreckt sich in ebenso hohen Maße auch auf Personen. Mit einem vortrefflichen ethnografischen Gefühl gibt er jeder Rasse ihre Schädelform, ihre Gesichtszüge, ihre Hautfarbe, ihren Körperbau, ihr Temperament, ihren physischen und moralischen Charakter. In dem bunten Völkergemisch, welches das Söldnerheer darstellt, finden sich Griechen, Italiker, Gallier, Balearen, Kampaner, Ligurer, Iberer, Libyer, Numidier, Gätuler, Neger, Männer aus dem Land der Datteln und ein paar Überläufer, Tier-Mensch-Gestalten aus fernen Stämmen, wie sie das monströse Afrika an seiner schwarzen Brust ernährt - Africa monstrusosa! - Jeder Charakter, seinen Akzent, seine Kleidung. Nie nimmt ein Grieche die Haltung eines Mannes semitischer Abstammung ein. Denn auf seinen Reisen hat M. Gustave Flaubert fesrtgestellt, daß das Abend- und das Morgenland sich nicht in derselben Weise bewegen.
Zitatende

Zuerst erschienen in "Le Moniteur" vom 22. Dezember 1862. Für diesen Band erstmals übersetzt von Anne-Rose Melter.


Hector Berlioz (1862):

Zitat:
Apropos große Kunst, Literatur: Haben sie schon Salammbô gelesen? Diese Frage eröffnet heutzutage jedes Gespräch.
Zitatende

Zitat:
Dieser Stil, ruhig in seiner immensen Kraft und so reich an Farben, daŽdem Leser vor den augen flimmert.
Zitatende

Zuerst erschienen im "Journal des Débats" vom 23. Dezember 1862. Für diesen Band erstmals übersetzt von Franz Cavigelli.


George Sand (1863):

Zitat:
Nichts schmeichelt den Denkkgewohneiten von Weltmännern, von oberflächlichen, von hastigen Menschen, kurz, den Sorglosen, also der Mehrzahl der Leser, weniger als das Thema von Salammbô. Jener Mensch, der die Sasche entworfen und vollendet hat, besitzt allen Elan und leidenschaftlichen Schwung eines großen Künstlers.
Zitatende

Zitat:
Es ist ein Bericht über diese Reise in die Vergangenheit, der mich erreicht, mich, die ich in aller Ruhe im warmen, kleinen Wintergarten sitze, und er tritt mir entgegen unter dem phanstastischen Namen Salammbô. Jawohl! Eine karthagische Gestalt! Karthago ist weit, die Vergangenheit noch weiter.
Zitatende

Dieser Brief George Sands stammt vom Januar 1863. Er wurde abgedruckt in George Sand, Questions d'art et de littérature, Paris: Calmann Lévy 1878.
Für diesen Band erstmals übersetzt von Nikolaus Windisch-Spoerk.


Flaubert an seine Kritiker:

Zitat:
Flaubert hat in den nachfolgenden Briefen entgegen seiner sonstigen Gewohnheit zu zwei Kritiken seines Werkes Stellung genommen.
Der Pariser Kritikerpapst Sainte-Beuve hatte Salammbô in der Zeitschrift "Le Constitutionnel" vom 08., 15. und 22. Dezember 1862 eine ausführliche und minutiöse Studie gewidmet. Seine Argumente werden in Flauberts Antwortbrief Punkt für Puntk aufgegriffen und widerlegt, so daß auf den Abdruck des langatmigen Textes verzichtet werden kann. Er ist in Sainte-Beuves Nouveaux Lundis, Band 4, Paris 1865 nachzulesen.
Guillaume Froehner, Archäologe deutscher Herkunft und von des Kaisers Gnaden Konservator der Antiken-Sammlung des Louvre, besprach den Roman am 31. Dezember 1862 in der "Revue contemporaine" unter der Überschrift "Der archöologische Roman in Frankreich: Gustave Flaubert, Salammbô". Er glaubte dem Autor Ungenügen gegenüber dem historischen Stoff und zahlreiche sachliche Fehler nachweisen zu können. Flaubert, der sechs Jahre an seinem Roman geschrieben, den Schauplatz bereist und sich in exzessive geschichtliche Studien vertieft hatte, überführte den selbstsicheren Berufsarchäologen in vollem Umfang der Ignoranz.
Zitatende


Wenn >GUY DE MAUPASSANT< über Flauberts Epos schreibt... "Die Bilder entfalten sich mit einer verschwenderischen Pracht, überraschen in Farbe und Rhythmus. Dieses Buch, das Plastischste, das er geschrieben hat, wirkt wie ein prachtvoller Traum"!
Und was soll ich noch als... quasi "Rezensent" dem hinzufügen, was >CHARLES BAUDELAIRE< dereinst über das Buch von Flaubert ="SALAMMBÓ"= schrieb. Kurz und bündig und "Ein prächtiges Buch. Was Flaubert da gemacht hat, konnte nur er machen"!


Und was hat er "gemacht"?
Den Schauplatz KARTHAGO hat er in seiner Phantasie als üppig-exotischen Rahmen für eine Liebesgeschichte im Stil der damaligen Zeit benutzt. Etwas Heldenepos - Mâtlo, der jugendliche Held als aufständischer Söldner (Heer-)führer liebt eine schöne Priesterin -Salammbó- der Göttin Tanit. Sie, die Tochter des berühmt-berüchtigen und siegreichen Feldherrn Hamilkar (tatsächlich war er der Vater von Mago und HANNIBAL), kann er, der stürmisch jugendliche Held und Protagonist erst mit Hilfe eines zauberkräftigen Schleiers der Stadt-Göttin der Karthager "erobern" und den vorgeblichen Widerstand der judikaren Priesterin, der schönen Salammbó "brechen". Als er sich -typisch jugendlicher Held ala Siegfried (Wormser Burgunnen-Saga)- am Zenit von Liebe und Eroberung wähnt, kommt der "menschenfressende Gott Baal" und seine korrupt-brutale Pristerschaft ins Spiel.
Heute steht -wissenschaftlich- fest, das die zweite Gottheit der Karthager (ähnlich den griech. Göttern - Herakles) nicht so blutgierig war, wie die Sieger des "Totalen Krieges" gegen Punien, nach dem vernichtenden Sieg, im sog. II. Punischen Krieg, die Römer als Kultur- und Herrschende Schicht der (damaligen) "Neuzeit" es als üble Diffamierungskampagne, über Jahrhunderte in ihren Geschichten und Epen verbreiteten. So daß bis Mitte/Ende der Siebziger Jahre des letzten Jhdrts. dies von uns und unseren Wissenschaftler geglaubt und verbreitet wurde: BAAL der "Monster-Gott" der Karthager erhielt s.Zt. Menschenopfer (+6.850 Kinderskelette an seinem Heiligtum untermauerten die Mär).


Vor diesem grausigen Schicksal sieht sich Mâtlo mit seiner frevelnden Geliebten Salammbó im Karthago des Jahres 241 v. Chr. Als das "Reich der Karthager" (=Punier) am Zenit seiner Kriegs- und Handelsmacht in der damaligen zivilisierten Welt am Mittelmeer und Nordafrika und größer als das römische Imperium und weiter gespannt als das griechische Kultur- und Handelsgebiet es je war. Größer als alle pharaonischen Reiche des alten Ägypten!
Es war die Zeit des Hamilkar und seiner Tochter Salammbó.

CpS

Diogenes-Verlag, 10,90 Euro, Paperback, ISBN 3257207220
Übersetzung des Werkes aus dem Jahr 1862: J. C. C. Bryns, Minden, 1907 - 1909!


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