Weinnasen-Geschichten aus 2004

"Sie sauffeten weidlich"!


07.09.2004

Tach aber auch!

Kaum einer erinnert sich noch an das alte "Weinhaus" in Hilden (bei Düsseldorf).
Nur den Herren der sog. Grundherrschaft war's seit dem frühen Mittelalter gegeben, Bier zu brauen, Branntwein zu brennen oder Wein auszuschenken (und zu handeln/transportieren). Wein war im Mittelalter noch -weil ungezuckert- bekömmlich und zu den Gelagen sowie Mahlzeiten DER Begleiter.
Die Frage war nur, nahm man(n) einen >Franken-Wein< (vinum Francorum) oder den >Hunnen-Wein< (vinum Hunnicum). Damit wurde nicht zwischen -wie oft fälschlich angenommen -Rot- und Weiß-Wein unterschieden, sondern die zeitgemäße- Wertschätzung ansgedrückt. Sicher ist nur, damals war der fränkische Wein der Trend auf den Tafeln.

Und, diese Weine wurden - nicht im Stile einer "Weinkneipe" im o.g. Weinhaus gelagert, abgefüllt und gehandelt. Urkundlich nachweisbar als Bestandteil des Herrenhofes des Erzbischof zu Cölln a.R. Kein sog. Hofgericht hatte hier die üblichen Rechte. Seit 1463 (!) in Hilden, gegenüber der kl. Dorfkirche (heute: Mittelstr. 89) stand der Hort der Begehrlichkeit. Bis es -leider- 1954 abgebrochen wurde.

Kurz nach dem Tode von "Balthasar der Wirt" gaben die Erben (Sohn und. Tochter) nach 1487 das alte >Wirtsgut< an die >Jakobs-Bruderschaft> und die Liebfrauen. Somit war's erste "Weinlokal", mit Wein und -branntwein, Bier nicht mehr. So endete -vorerst- die Weinherrlichkeit in Hilden bey Dusselthorpe am Rhein!

Nichts (1410!) erinnerte mehr an die, die... "volle lude, die sich an die dürpel steisse off an der ungewohnheit drieven" (= die Vollen, die über die Türschwelle stolperten oder andere "ungewöhnliche Dinge" verrichteten).
"Und dann tätten diese erbaren meistern die wirtshaus söken unde sauffeten weidlich".
Das "Sittengericht" und die "Kirchenzucht" -so die Konsistorialakten, seit 1670 fortlaufend- befand bey sonntäglichen Visitationen, den Wein-/Branntwein-Genuß für unschicklich weil übertrieben statt genossen. Daraufhin wurden die -wenigen- Wirtshäuser wieder geschlossen (1724 waren es hier schon acht Wirte in Hilden) und unzählige sog. "Fuselbrenner" waren davon betroffen.

An Wirtshäusern/Brennereien war während des 18. Jahrhunderts im Rheinland kein Mangel. Bloß mangelte es wohl an den "guten Sitten" unserern Ur-Alt-Vorderer!
Zu Gunsten des Gruut (Kraut)-Bieres ("Alt") und des Branntweines wurde das biedere Rheinland halt eben kein Wein-Genuß-Lande!
Noch Weinanbau-Gebiet!!

"Hildener Krakehler" u.v.a. Schnäpse (=Branntweine) gewannen die Gunst der Buuren und "Kleineisen-Arbeiter". Viele der ur-alten (Wein-)Wirtshäuser wurden -zu blöd- erst in den 50-igern des letzten Jahrhunderts abgerissen, so wie das renommierte "Restaurant Haus Dissmann" an der Mittelstrasse von Hilden.
Der "Christliche Schlaftrunck" (1624) aus den Schriften des Wilhelm Fabry's, war kein (Rot-)Wein, sondern Branntwein. Eine Arzenei des berühmten Hildener Wundarztes (1560 - 1634) seiner Zeit.
"Von den inneren Wirkungen des -übermäßigen- Saufens & Schlemmens" berichtete der famose Doctor auf dem Reichstag zu Cölln 1512. Die Trunckenheyt nam so überhand, daß kaum ein Knecht, Magd, Amme oder Tagelöhner noch seiner Arbeit gerecht nach kam: Versoffene Deutsche wurden sie genannt und oft gebannt.
"Hymelwag" hieß die Schrift des Hans von Leonrod, die den SAUFTEUFEL als Holzschnitt des Hans L. Schäufelein (Augsburg 1517) erstmals darstellte. Und der hatte einen... BOCKSBEUTEL als Flasche in der Hand.
Im 16. Jahrhundert galt's WIDER DEM SAUFTEUFEL zu sein. Jedoch nitt gegen den Wein-GENUSS, so ohne üblen Verdruß!

Später war der teure -weil hochbesteuerte- Branntwein und Wein nur den städtischen -teils auch den ländlichen- Oberschichten im Rheinland vorbehalten: Beamten, Bürgern, reichen Ackersleut u.s.w. suchten die Gesellschaft gleicher sozialer Schichten in WEINHÄUSERN um 1827/30 sagt so eine Schrift über den Wandel im Kreis Bergheim/Rhld.
Die übrigen Klassen suchten "Genuß" bey Bier und Branntwein; oft gar nitt so sehr fein!
Kartoffeln, oft mit Zusatz von Korn (selten reines Korn!) und/oder Hafer waren (Gerste und Roggen) mit Schwefelsäufe versetzt um die Rauschwirkung zu erhöhen. 1836, 1850 war's morgentliche Glas Schnaps täglicher -garantierter- Bestandteil der Gesindeernährung. Im berg. Land, dem Kölner Gebiet, in der Eifel wurden eintretenden Besuchern stets ein gutgefülltes Glas Schnaps gereicht.
Der Besucher mußte austrinken, dem "Bescheid tun"! Geschäfte, Handel und Händel wurden so beschlossen, getätigt und sich "Freundschaften" gesichert, soziale Strukturen aufgebaut und "vertieft".

Der Schnaps-/Bier-Genuß war allenthalben im Rheinland "bey den Teutschen" DAS (soziale) Genußmittel schlechthin. Den Wein hatte man(n) und auch die Frauwen/Weybersleut nicht im Sinn/Blut: Dafür "brannte" der Fusel/Schnaps bestens. Die Kartoffel -erst im 16. Jhdrt. aus Südamerika "importiert",- war in den Notzeiten, Ende des 17. Jhdrts. zwar auch in Deutschland -besonders nach dem "Siebenjährigen Krieg"- die Alltags- wie Festspeise und... wurde zum Genußmittel gebrannt: Schnaps (Vodtka, Genever (=Gin)), weil Massenträger für Alkohol, wurde "billig", leicht anbaubar (1760/70 im Kreis Köln/Jülicher Land) und "greifbar".

Und in Düsseldorf wurde BIER gebraut (1807) so wie's die damaligen Richtlinien und Gesetze es forderten: Zu drei und vier Stüber die Maaß, (25 Sorten gab's) mit 10 Ahmen (ca. 1.500 Liter) wurde das Bier gekocht (sieden!).
Ja, so war's und blieb es lange, hier im Schnaps- und Bier-Land, dem Rheinland vor so ca. 500 Jahr'.

Und was machten, z.Bsp. die Münchner in Bayern?
Unter dem Namen "JUNGBRUNNEN" warb so ein "ALKOHOLFREIES RESTAURANT -ohne Trinkzwang- auf der Arcosstr. 3 um Gäste in der "Jugenstil"-Zeit. Denn mit 10/11 Litern pro Kopf an Alkohol-Verbrauch (meist Schnaps!) war's um unsere "Volksgesundheit" so nitt mehr wohl bestellt. Und mit dem neuen Branntweinsteuergesetz von 1887 ging der Suff so -richtig- in's (knappe) Geld!
So -schien- die Gefahr für's Deutsche Volk in den Rheinlanden gebannt. Der Konsum ging drastisch zurück, die Säuferkrankheiten aber nicht proportional!

Im Deutschen (geeinten) Reich änderte sich die Sichtweise zu Beginn des 19. Jhdrts. Moralisten, "Sozialisten" und Klerus sorgten sich um die "Arbeiterschicht", die den sonntags ausbezahlten Lohn am gleichen Tag versoff/ausgab. Den Lohn für >eine Woche< schwerster (vorindustrieller) Arbeit.
Die aufkommende Industrialisierung bedurfte aber "nüchterner", willfähriger Arbeiter: "Lohnsklaven". Wirtschaftlich-politische Interessen gaben den Bier- und Schnaps-Säufern der Arbeiterschaft strenge Regeln/Gesetze und "betriebliche" Verbote.

Markanter waren da aber die Stundenen (corposierte Studentenschaft), das Offizierscorps, als "bürgerliche" Gruppierung, im Saufen! Jedoch weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit, in Casinos, Vereinslokalen etc.! "Soziales Saufen" war in der sich bildenden (Groß-Bürgerthum) Oberschicht schick und... "gefordert"! Regel!!
Der Arbeiter soff "billiger" und wurde in die Kategorien "instrumentales Trinken" eingestuft: "Proleten-Suff"! Noch 1865 wurde >Schnaps< in den Krupp'schen Genußstahlwerken kostenlos >als Schnapsspende< in den Arbeitspausen gereicht. Unzureichende -falsche- Ernährung und der "gewollte" Suff machten über's 19. Jhdrt. den Arbeiter -sowie die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, Wohn-/Elendsquartiere, Kinderarbeit, 7-Tage-Arbeitswoche u.s.w.- zum kollektiven Wrack.

Und auch die Kommunen verdienten mit den 1860/1895 im Rheinland in Mode gekommenen >TRINKHALLEN<, den Suff in aller Öffentlichkeit fördernd, gar nitt sclecht. Ganz Deutschland, ein einig Land von Säufern?!?

So war's tatsächlich um unsere "Vorfahren" bestellt: So die "Sozialgeschichte des Alkohols in Deutschland". Als aus der Medizin (=Branntwien) Schnaps billiger als Wein, zu produzieren war. Preussische Land-Junker konnten schwer absetzbare Roggen/Weizen (=Korn) Mengen völlig verspritten, absetzen und setzten so auch das Nahrungsmittel der Zeit, die Kartoffel, als Schnaps zur Wohlstandsmehrung ihres Standes ein.

Eine MARK (1910!) für einen Liter Wein, 30 Pfennige für 1 Ltr. Bier, ein Liter Schnaps dagegen nur 50 Pfennige.
Und Schnaps "knallte" schneller/besser. Böse Zungen behaupteten s.Zt. das die Deutschen den Krieg -nach der entscheidenden Sept.-Offensive 1918- nur verloren hätten, weil die Landser die Wein- und Cognac-Keller in Frankreich geplündert und im tagelangen Voll-Rausch lagen. Suff an der Front war die damalige Regel, Kultstatus sogar. Erst viel später gab's -lt. Maßgabe des Innenministers Bethmann-Hollweg- eine "trockenen" Mobilmachung und Kriegsführung der Preussen.
Die beiden (I. und II.) Weltkriege waren demnach die "schlechten Zeiten" für Bierbrauer und Schnapsbrennerin Deutschland =REICH=!

Der Wein hat also in unserem Deutschen Volk nie eine große Rolle gespielt. Erst mit Christoph Wilhelm Hufeland ="die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern"= kam der Begriff TRUNKSUCHT in die med. Nomenklatur (1819)...

"Am besten ist es, wenn man den Wein (!) als Würze des Lebens betrachtet und benutzt!"

Der -mäßige- Wein-Genuß wurde -medizinisch- anerkannt und vom aufgeschlossenem Bildungs-Bürgerthum im Reiche der Deutschen angenommen.
Selbst Herr Hufeland zitierte die Bibel,

Psalm 104, 15: "Der Wein erfreut des Menschen Herz"

Haben doch (griechische) Römer den Wein als >BIOS< ="Lebensspender" bezeichnet. Selbst der Große Apostel Paulus (ehem. "Zöllner Saulus" aus Damaskus) riet Timotheus:

... "trink nicht mehr bloß Wasser, sondern immer etwas Wein, um deines Magens willens und deiner häufigen Krankheit".

Hippokrates verordnete >ROTWEIN< bei verschied. Sympthomen. Auch als "Befeuchtungsmittel" für Verbände taugte er Jahrhunderte lang. Gegen den gefürchteten Scorbut. Dem "spritzigen" Moselwein, dem prickelnden Champagner werden als probates -erfolgreiches- Mittel (selbst in letzten Stadien) Heilwirkung bei Herzerkrankungen zugesprochen.
Gleichwertig neben der im 18. Jhrdrt. eingeführten Digitalis-Pflanze (="Fingerhut", der so schön in meinem kl. Zaubergarten blüht und gedeiht). Wein als Prophylaxe gegen Arterienverkalkung -Wein als Pharmakon- war, ist und bleibt -in Maßen- "angesagt" in der Medizin. Sich -2 x wöchentlich- VOLLSAUFEN galt sogar als das Mittel gegen Pest und Cholera, ("Schade", das Pest und Cholera (bei uns) ausgestorben ist: Der Chronist!) wie wunderbar.

Aus dem 3. vorchr. Jahrhundert ist bekannt:
"Der Wein könne neben dem Honig für den Menschen als das Allerschönste gelten, wofern er nur bei Gesunden wie Kranken, der Natur derselben entsprechend, zur rechten Zeit und im richtigen Maß angewandt werde".

Selbst die Literatur ist VOLL und des Lobes über den Wein als Genuß =Engelskuss.

Also... nun weiß ich warum ich selbst hartnäckige Krhs.-Ärzte waaaahnsinnig mache, wenn ich als Infusion einen mir genehmen *R*iesling verlange!
(In Düdo-Krhs. war bis Mitte der 60iger noch Bier -in Maßen- in Flaschen, eine gereichte Arzenei!)
Ich will GESUND werden. Und die verdienen doch nur's Geld, wenn ich bei denen für's "fürstliche Zimmer" (Suite) im "HILTON"-Hotel gleichbezahlend im 2/3-Bett-Zimmer frustig darbe!

Auf einem anonymen Grabstein des 17. Jahrhunderts steht zu lesen:

"Eines bequemen Mannes.
Mir hat das trincken mehr
als lieben
freude bracht
weil dieses kräfte nahm
und jenes Stärcke macht:
doch ist mein weib dabey nicht unvergnügt geblieben
sie ließ mir frey den trunck
ich ließ ihr frey das lieben"

So bekam doch jeder -in Maßen- mit Wein gesund bleiben/werden und frey dazu.

Und zum Abschluß dieses Ergusses, die Worte des Großen Deutschen, J.W. v. G. -himself- (1749 - 1832):

So lang man(n) nüchtern ist

So lang man nüchtern ist,
Gefällt das Schlechte;
wie man getrunken hat,
Weiß man das Rechte;
Nur ist das Übermaß
auch gleich zu Handen:
Hafis, oh lehre mich,
Wie du's verstanden!

Denn meine Meinung ist
nicht übertrieben:
Wenn man nicht trinken kann,
soll man nicht lieben;

Doch sollt ihr Trinker euch
Nicht besser dünken:
Wenn man nicht lieben kann,
soll man nicht trinken.

So schrieb's der Kluge Mann von damaliger Welt. Soff und liebte sich in die Welt der Literatur. Die Bottel in Demut stets ehrt... Gedichte!

Und da bleib ich stur, datt ist auch meine Geschichte.
Die einer aufrechten, der >ECHTEN WEINNASE<.
Eine so bessere findet ihr sicher nitt.

Selbst der verkniffen wirkende Bertold Brecht ("Über den richtigen Genuß") (1896 - 1956) war ein "Titan" im Bett und oft nitt nett. Carl Zuckmayer (1896 - 1977) genoß den Groooßen Dooosch gleich mir (siehe "Der infernalische Trunk"). Und, den dürft ihr nie vergessen: Joachim Ringelnatz -mein Lektüren-Schatz- (1883 - 1934) und ("Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuddel Daddeldu") "Simplizissimus"-Liebhaber wie ich!
Lest Peter Hille (1854 - 1904) "Aus den Liedern des betrunkenen Schuhus" ... "Der Weise weiht sich dem (Alkohol) Weine".

So, mit dem "Ratschlag für gutes Trinken", von Carl Zuckmayer (selber lesen, denn ich laß meine "Feder" sinken; die Lider taten's schon!) verabschiede ich ich auf meine "Vorrunde"

"Rad und Wein, das darf sein",

die in 3 1/2 Std. am HBF in Düdo im 7:50 h mit meiner (derzeit schlafenden) Frau und mir als "Pfadfinder" zur Saar, moselaufwärts, startet.

Eure olle Weinnase,
on the road again.

Will dem *R*iesling-Wein näher sein als dem Krankenlager dem Tode!


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