Weinnasen-Geschichten aus 2007

Nachkriegszeit - Mangelzeit


06.01.2007

Als Deutschland durch den II. Weltkrieg in Trümmern lag, in der sog. "schlechten Zeit" wuchs ich als Halbstarker auf.
Mein Stadtviertel lag zu 87,8 %. lt. Statistik, in Schutt und Asche. Kein Haus, daß nicht einen Schaden hatte, wo seine Bewohner noch unversehrt und "vollständig" an Zahl der Familienmitglieder war.
Eine raue Zeit in Deutschland. Und die Zeit der Jugendbanden, den "Straßenbanden". Meine "Bande" war die vom >Spichernplatz< im kriegszerstörten -wegen der kriegswichtigen Waffenfabrik "Rheinmetall"- Derendorf. Einem gewachsenen Viertel einstiger Gut-Bürgerlichkeit in dieser rheinischen Großstadt, die doch mehr einem Dorf glich: Düsseldorf am Rhein!

Die letzte Stadt im Westen von Deutschland und sog. "Schreibtisch des Ruhrgebiets" - aber auch "Klein-Paris" genannt -, die sich dem kesselartigen Angriff der "Alliierten" im II. Weltkrieg ergeben hatte.
Die Väter und älteren Brüder waren entweder im Krieg gefallen oder galten als vermisst oder waren - meist in russischer - Gefangenschaft. Mütter und Schwestern, ältere Frauen, gingen entweder klauen oder auf dem rechtswidrigen "Schwarzmarkt" die äußerst knappe Not-Versorgung der Familien-Reste sichern. Man nannte es - nach dem Kölner Kardinal Frings (* in Neuss) - verharmlosend "fringsen". Spielplätze, Jugendheime oder intakte Schulen nebst "unvorbelasteten" Lehrern in Arbeit gabs kaum. Die sog. Nazi-Zeit, und damit in Folge des verlorenen Krieges, die "Besatzungszeit" durch die alliierten Streitkräfte war unsere Kinder- und Jugendzeit = BANDENZEIT!
Die Zeit der "Trümmerfrauen" und >"Kriegskrüppel"< und die "wilde Zeit" der illegalen Beschaffungs-Kriminalität um zu überleben. Eine Zeit, wo keiner für uns eigentlich Zeit - oder sinnvolle Beschäftigung - hatte, sich mit uns verantwortlich beschäftigte.

Meine Mutter hatte eine der begehrten, seltenen wie sehr schlecht bezahlten Hilfsarbeiten bekommen können. Meine mich hilfsweise zu erziehen versuchende Großmutter Martha war meist nicht da. Sie "stand Schlange"! Vor irgendeinem halbzerstörten Geschäft, wo es auf den >"Lebensmittelkarten"< sog. Notrationen geben sollte; falls sie überhaupt geliefert wurden oder in den Handel gelangten. Wir hatten damals nix als den steten Hunger. Spielzeug ö.ä., dies war uns fremd und, wenn es welches, als sog. Vorkriegsware, selten genug gab, für uns und die meisten Familien meiner "Banden-Mitglieder" einfach >ZU TEUER< war.
Dies galt auch für die extreme "Luxusware", wie Kleidung, Küchengeräte, insbes. für Tabak, Schnaps und... Wein. Von Fett, Butter, Mehl und Fleisch träumten wir und erzählten uns die Märchen-Gerichte einer wohl - so schien es uns - vergangenen "guten, alten Zeit". In der bürgerlicher Wohlstand und sogar Reisen - KdF - ins Ausland Einigen möglich war.

Reisen außerhalb festzugewiesener Bezirke, schon in die nächste Stadt, fanden nur mit besonderen Genehmigungen und äußerst selten statt. Das "Ausland" war uns total unbekannter "Märchen-Land" - Sehnsuchtsland Amerika!
Zu meinen "bäuerlichen" Großeltern nach Limburg (Belg./NL) musste ich geschmuggelt werden. Versteckt im Vorkriegs-Opel des Pater Dagobert. Einem mutigen Jesuiten-Priester, der uns damals, sehr gewagt, half, wo er nur konnte - aber nicht durfte! Das Gebot seiner christlichen Menschlichkeit zählte für ihn - und die meisten seiner - Brüder (SJ) mehr, als "Besatzungs-Verbote" oder Rechtsverstöße. Ein Schmuggler im Namen des Herrn. Und Held im Herzen eines "Lausbuben", in der "schlechten Zeit".

Der "verstorbene" Vater, einen durch Kriegswirren nach Derendorf verschlagenen Italiener und Ex-Faschisten des Mussolini-Regimes und "unerschrockenen" Schmuggler aller Waren, die knapp - oder angeblich gar nicht - zu haben waren, war ins halbwegs intakte Haus meiner Großmutter mit einem Schwarm von Kindern und "erblondeten" >Mama Italia<, war der weitere Held meiner rauen Kinder- und Jugendzeit.
Dann, bis er bei einer gefährlichen Schuggeltour von britischen Militärpolizisten erschossen wurde, war er mein "Konterbande-Lieferant" an Schokolade und unbekannten Leckereien aus den USA =>Kaugummi<= !
Für die Älteren gabs Zigaretten und Whiskey und Nylons für die "Damen von Welt" - alles gegen sehr viel Geld oder "Tauschware"!
Sein, meines Helden aus Italia, jüngster Sohn war also mein "Untertan" und Nachbars-Junge von der Etage "unter uns". Etwas jünger als ich und ein "echter" Italiano mit Namen MASSIMO. Sehr schnell wurde aus dem Massimo der MAXIMO; unser Straßenbanden-Chef der damaligen "Spichernplatz-Bande" aus Derendorf. Erst einige "wüste" Jahre später wurde daraus die in der ganzen Stadt am Niederrhein so bekannt eund auch oft gefürchtete >> MASSIMO-BANDE <<. Da wars beileibe keine sog. "Rasselbande" ungestümer Kinder und Jugendlicher. Später gings "heißer" her und der "harte Kern" der Stadtteilbande war am Rande der Kriminalität angelangt. Einige gingen den für sie unheilvollen Schritt als sog. "Kleinkriminelle"; und vors Gericht und sogar ins Gefängnis, was damals noch Zuchthaus hieß!

Als besser deutsch - als der Banden-Chef- sprechende Nachbars-Junge wurde ich - fast wie von selbst - zum >CONCILIERE< der Massimo-Bande. Zu der Zeit als sie noch nicht am Rande der Kleinkriminalität ersichtlich angekommen war.
Nicht nur meine besseren Sprach- sondern auch die "intimen" Kenntnisse der Nachbarschaft, der Umgebung und bessere schulische Leistungen (bei den Schularbeiten war ich der Helfer in der Not des "Chefs") prädestinierten mich zu der "abgehobenen" (nur 1 Treppe über der italienischen Familien wohnten wir) Position eines "freundschaftlichen Beraters", halt eben eines vertrauenswürdigen "kleinen Mannes", der >so< zum Conciliere wurde. Der 2. Mann des Jugendbande in Derendorf der Trümmer- und Nachkriegszeit!

Es gab in unserer (damaligen) Nachbarschaft keine vergleichbare "Organisation" von Kindern und Jugendlichen, halbwüchsigen Rüpel, die damals >"Halbstarke"< verächtlich genannt wurden.
Die meisten von uns -mussten- kurze Hosen oder umgearbeitete Militärhosen, o.ä. tragen. Nach Jeans tat noch keiner von uns in der anfänglichen harmlosen Bandenzeit am Spichernplatz fragen; nach den "LUCKY-STRIKE" nur als begehrtes Tauschobjekt für die Älteren bei uns im Stadtviertel!

So begann also die nun -fast- vergessene BANDENZEIT, einem eher lockeren Zusammenhalt von schulfpflichtigen Kindern und heranwachsenden Jugendlichen in Düsseldorf der Nachkriegszeit - meine Kindheit der "Mangelzeit"!

CpS


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